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Alte Regierung gegen bedingungsloses Grundeinkommen – was sagt der neue Bundestag?

23. Januar 2022 | Allgemein, Archiv, BGE | 6 Kommentare

Petition 108191 Krisen-Grundeinkommen:

Auf der Webseite des deutschen Bundestags finde ich folgenden Text in der Rubrik „Archiv“:

Regierung gegen bedingungsloses Grundeinkommen

Petitionen/Ausschuss – 26.10.2020 (hib 1142/2020)

Berlin: (hib/HAU) Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist aus Sicht der Bundesregierung nicht geeignet, um eventuelle Lücken bei den Corona-Hilfen zu stopfen. Das machte Gerald Becker-Neetz, Leiter der Unterabteilung Ia Soziale Marktwirtschaft, Zukunft des Sozialstaates und Forschung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) am Montag während einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses deutlich. Die Bundesregierung überprüfe permanent die Zielgenauigkeit der Corona-Hilfsmaßnahmen und steuere bei Bedarf nach, sagte der Ministeriumsvertreter

Aus Sicht der Petentin Susanne Wiest muss hingegen angesichts der Corona-Krise „kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig“ ein bedingungsloses Grundeinkommen gewährt werden. Ein Ende der Krise, „die für viele Menschen auch zu einer schweren wirtschaftlichen Existenzkrise geworden ist“, sei nicht in Sicht, sagte Wiest vor den Abgeordneten. Die getroffenen Hilfsmaßnahmen seien nicht zielgenau, kritisierte sie. Ihr Beantragung werde in der Bevölkerung als kompliziert, bürokratisch und zeitaufwendig wahrgenommen. „Oft kommt Hilfe nicht dort an, wo sie gebraucht wird. Viele Menschen fallen komplett durch das Raster“, sagte die Petentin. Gerade in der jetzigen komplizierten Situation bräuchten alle Menschen „eine sichere finanzielle Basis, die uns trägt“.

Der die Petentin begleitende Wirtschaftswissenschaftler Bernhard Neumärker von der Universität Freiburg erläuterte sein Modell eines Netto-Grundeinkommens, das seiner Aussage nach „sofort umsetzbar ist“. Jeder Bürger würde demnach monatlich 550 Euro erhalten, „Kinder etwas weniger“. Damit seien alle Menschen abgesichert, so Neumärker. Das Modell finanziere sich aus jetzt schon gewährten Mitteln, die lediglich umgeschichtet werden müssten, sagte er. Eine Reform des Renten- und Gesundheitssystems sei nicht nötig

Auf die Frage, warum alle Menschen, statt nur der wirklich bedürftigen, von einem bedingungslosen Grundeinkommen profitieren sollten, sagte die Petentin: „Die Bedarfsprüfungen und Regeln für die Zugangsberechtigung schaffen eine große Unsicherheit. Das wollen wir in einer Demokratie nicht. Da gehören alle dazu.“ Wer kein[en] Bedarf für ein solches Grundeinkommen habe, könne dieses „ganz entspannt zurück spenden“, sagte Wiest. Dies wäre auch ein Wechsel vom Misstrauen, mit dem den Bürgern oft begegnet werde, „hin zu Vertrauen“. 

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anette Kramme (SPD) antwortete auf die Frage, ob bei Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Erwerbtätigkeit zurückgeht: Sie gehe davon aus, dass viele Menschen ihre Arbeitsbedingungen als unangenehm empfinden und andere Dinge lieber täten. Insofern sei davon auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit zurückgehen werde.“

Der Text stimmt so nicht, denn er unterschlägt einen wesentlichen Teil des Vorschlags, den ich hier ergänze:

Die 550 € monatlich heißen Netto-Grundeinkommen, da diese Summe allein für den Lebensunterhalt dienen soll: Nahrung und sonstiger Bedarf. Zusätzlich zu den monatlich 550€ Netto-Grundeinkommen pro Person werden Miete und Kapitaldienst, also jegliche Zins-, Kredit- und Mietzahlungen, vollständig ausgesetzt. Aus dem Einstellen dieser Zahlungen entsteht keine Schuld. Nach Beendigung der Krisensituation werden die Zahlungen wieder aufgenommen.

Richtig wird dort beschrieben, dass der Vorschlag kostenneutral ist und sofort umgesetzt werden kann.

Auch meine Opt-out Idee wird korrekt dargestellt: „Wer kein[en] Bedarf für ein solches Grundeinkommen habe, könne dieses „ganz entspannt zurück spenden“, sagte Wiest. Dies wäre auch ein Wechsel vom Misstrauen, mit dem den Bürgern oft begegnet werde, „hin zu Vertrauen“. „

Vom Bundestag habe ich schon lange nichts mehr gehört:

Ist die Petition inzwischen offiziell abgelehnt? Ich habe davon nichts erfahren. ich wurde lediglich zweimal um Geduld gebeten. Nun liegt es beim neuen Bundestag, über die Petition zu entscheiden, zumal sich meine Aussagen im Bundestag vom 26.10.2020  bestätigt haben:

Ein Ende der Krise, „die für viele Menschen auch zu einer schweren wirtschaftlichen Existenzkrise geworden ist“, sei nicht in Sicht, sagte Wiest vor den Abgeordneten. Die getroffenen Hilfsmaßnahmen seien nicht zielgenau, kritisierte sie. Ihr Beantragung werde in der Bevölkerung als kompliziert, bürokratisch und zeitaufwendig wahrgenommen. „Oft kommt Hilfe nicht dort an, wo sie gebraucht wird. Viele Menschen fallen komplett durch das Raster“, sagte die Petentin. Gerade in der jetzigen komplizierten Situation bräuchten alle Menschen „eine sichere finanzielle Basis, die uns trägt“.“

Die Petition für ein Grundeinkommen in der Krise richtet sich an den Bundestag. Die Ablehnung durch die Regierung ist eine Information, doch interessant ist, was der Bundestag beschließt und diskutiert.

Sehr interessant finde ich folgende Passage:

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anette Kramme (SPD) antwortete auf die Frage, ob bei Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Erwerbtätigkeit zurückgeht: Sie gehe davon aus, dass viele Menschen ihre Arbeitsbedingungen als unangenehm empfinden und andere Dinge lieber täten. Insofern sei davon auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit zurückgehen werde.“

Unverblümt wird ausgesprochen, was Sache ist: Viele Menschen tun etwas, das sie ohne Existenzdruck bzw. Existenzzwang nicht tun würden.

Diese Aussage von Frau Anette Kramme (SPD), Frau Kramme ist übrigens auch unter der neuen Bundesregierung Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, liest sich, als ob im Grundeinkommen und den befreienden Effekten, die es haben kann, auch eine Lösung für die Natur- und Umweltkrise liegen könnte. Eine Welt, in der die meisten das tun, was sie wirklich wollen, könnte eine schönere und auch gesündere Welt sein.

Wie steht der neue Bundestag und die neue Bundesregierung zum Krisen-Grundeinkommen? Diskutiert der Bundestag über Grundeinkommen in der Krise, wie von uns im Ausschuss gefordert?

Findet Ihr wichtig, unsere Forderung gegenüber dem Bundestag aufrechtzuerhalten und dort wieder nachzufragen? Sicher werde ich dort zumindest eine Richtigstellung des Textes anfragen. Insgesamt passiert wenig im Bundestag. Das ist demokratisch enttäuschend. Lebendige Demokratie sieht anders aus.

Über Eure Ideen zum Thema und Vorschläge für das weitere Vorgehen, gerne als Kommentar, freue ich mich.

Vielen Dank und liebe Grüße, Susanne 🌳

6 Kommentare

  1. Diogenes von der Töss

    Liebe Susanne, an dieser Stelle einmal mehr vielen Dank für all Dein Engagement. Ich selbst bin ob dieser klassischen Hinhaltetaktik der alten Regierung weiterhin sehr enttäuscht.

    Gleichzeitig hat sich in meinen Augen an der grundsätzlichen Wichtigkeit eines BGE nichts geändert, und „dank“ der anhalltenden Corona Krise gibt es nach wie vor eine große Chance, die Krise als Trigger für die Einführung eines Grundeinkommens zu nutzen.

    Insofern würde ich es sehr begrüßen, wenn die Forderung, die aus Deiner Aufsehen erregenden Petition hervorgeht, unvermindert stark auch an die neue Regierung herangetragen wird. Das Thema darf nicht von der Agenda verschwinden. Möglicherweise erfährt dadurch ja auch die europäische Initiative, die noch dringend Unterschriften benötigt, einen weiteren Push. Bitte bleib dran!

    Liebe Grüße aus Mannheim von Diogenes und Vanessa

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  2. Jörg

    Als Genosse kann ich nur sagen unverschämt ich bin schockiert lg

    Antworten
    • Susanne Wiest

      Bitte entschuldigen Sie die Nachfrage: Sind Sie schockiert über die Forderung nach einem Grundeinkommen in der Krise?
      Liebe Grüße, Susanne Wiest

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  3. Gerhard Seedorff

    Herr Gerald Becker-Neetz, Leiter der Unterabteilung Ia Soziale Marktwirtschaft, Zukunft des Sozialstaates und Forschung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anette Kramme (SPD) haben sich mit Gründen für die sie keine Beweise vorlegen konnten, gegen den Vorschlag in deiner Petition gewandt, sonst hätten sie ihre Beweise sicher vorgetragen. Sind die an der Gesetzgebung beteiligten Beamten die wirklichen Gegner eines Grundeinkommens? Haben sie sich mit Hilfe der von ihnen ausgearbeiteten Gesetze in den vergangenen 70 Jahren einen sicheren priviligierten Hafen in unserer Gemeinschaft gebaut, den sie durch die Einführung eines Grundeinkommens gefährdet sehen?

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  4. bernd schmitt

    wir müssen nichts beweisen,

    fakten sprechen gerade jetzt für sich.wer nichts investiert und keine soziale sicherheit schafft bekommt auch nichts,gar nicht,.k

    keine zukunft keine kinder nicht mal anständige einkommen.kann sich das staat noch erlauben?oder wollen wir doch lieber anständige verhältnisse ?

    wir haben in deutschland 14,7 mill arbeitslose,7,9mill.hartz,6mill geringverdiener ,21 mill rentner,8,6 mill vermoegende und 2,3millionen millionäre und milliardäre.

    wir haben nichts dagegen ein grundeinkommen als basiseinkommen anzubieten und anständige arbeit zu anständigen löhnen dazu.

    davon ist die bundesregierung weit entfernt und die cdu hatt 16 jahre zeit dazu.also die forderung steht grundeinkommen jetzt!

    es ist zu hoffen das die EU sich nun mal entlich bequemt und dies verbindlich macht.

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  5. Paul Caspar

    Das Grundeinkommen ist mit der Rot-Grünen-Regierung völlig erledigt worden. Eine leider historisch bemerkenswerte und bewußte Desinterpretation des Anliegens ohnegleichen. Wieder 10 Jahre mehr, in denen es heißen wird :“Wir haben doch alles getan“, derweil sich der Kapitalismus, wie jeder ~ismus als triviale Antithese zur Demokratie weiter durch die Welt frisst.

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